2. Dezember 1856

Die National Portrait Gallery wurde an diesem Tag eröffnet. Sie zeigt ausschließlich Porträts von berühmten Leuten. Heute auch viele Fotografien. Die Gemälde haben nicht immer einen hohen künstlerischen Wert, sind aber ungemein spannend. Es macht einfach Spaß durch die Räume zu laufen und den vielen berühmten Namen endlich in die Augen schauen zu können. Mancher sieht ganz anders aus, als man gedacht hat. Aber alle dargestellten Männer und Frauen sind sehr lebensecht.

Die Idee zu der Sammlung hatte der Earl of Stanhope, ein Politiker im House of Lords. Er war durch und durch ein Aristokrat und natürlich in einem stattlichen Herrenhaus aufgewachsen. Somit war es also gewohnt, die Porträts seiner Vorfahren überall im Haus zu sehen. Sein Großvater bzw. dessen älterer Bruder trug den Namen ‘Richard Temple-Nugent-Brydges-Chandos-Grenville’. Der verwies vermutlich auf alle erwähnenswerten Ahnen und sagt eigentlich schon alles, was man über die adligen Männer dieser Zeitepoche wissen will.

Aber die Portrait Gallery war ein prima Gedanke und wurde schnell zum großen Erfolg. Noch heute werden ständig neue Bilder zugefügt und das Ganze kann man sich kostenfrei in London ansehen. Die Galerie ist in einem Nebengebäude der Nationel Gallery untergebracht, also unmittelbar am Trafalgar Square bzw. an der St Martin’s Lane. Beide Häuser sind baulich verbunden, man kann problemlos von einer Sammlung zur anderen wechseln. Aber vermutlich wird man nicht die Zeit haben, denn beide Galerien sind gut bestückt und gehören zur Spitze der Kunstsammlungen weltweit. Also lieber viel Zeit mitbringen.

 

 

 

2. Dezember 1938

Die ‘Reichs-Kristallnacht’, das Novemberpogrom, hatte gerade stattgefunden. Die Juden waren das Ziel des Mobs und niemand griff schützend ein. Ab jetzt waren sie überall und zu jeder Zeit in akuter Lebensgefahr.

In Deutschland hatten die Nazis ihre Rassengesetze in Kraft treten lassen. Juden war damit der Zugang zum öffentlichen Leben verstellt. Sie durften nicht mehr arbeiten, konnten keine Wohnungen mieten und mussten einen gelben Stern tragen. Meine Großeltern ließen sich scheiden, trotz der beiden kleinen Kinder, die sie hatten. Sie war Christin und ihr Mann war Jude. Ihre Ehe wurde nicht länger geduldet. Die Kinder, zwei schulpflichtige Mädchen, waren in Gefahr. Man musste sich entscheiden. Wer konnte, floh aus Deutschland. Aber leichter gesagt, als getan, denn das Ausland war nicht generell bereit, eine große Flüchtlingswelle aufzunehmen.

In England hatte man reagiert. Man wollte vor allem den Kindern helfen. An diesem Tag, Anfang Dezember, traf der erste ‘Kindertransport’ aus Berlin ein. Der Zug hielt in London, im Bahnhof Liverpool Street.

Rund 10.000 jüdische Kinder wurden aus Deutschland, Österreich, Polen und der Tschechoslowakei aufgenommen. Ihre Eltern durften nicht einreisen. Eine schwere Entscheidung, eine schmerzhafte Trennung, manchmal für immer. England bzw. Großbritannien hatte das Programm zahlenmäßig nicht limitiert. Man brachte die Kinder in Familien, auf Farmen und in Heimen unter.

Manche kamen mit nichts an. Kein Koffer, noch nicht einmal einen Karton. Nur ein Schild mit einem Band um den Hals befestigt. Darauf ihr Name, ihr Alter. Englisch konnte kaum einer von ihnen sprechen und die Pflegeeltern hatten nie Deutsch oder Polnisch gelernt. Eine schwierige Situation für beide Seiten, aber ein humanitäres Projekt, dass jede Anstrengung rechtfertigte.

Ich hatte von diesem Programm nie gehört, stieß erst bei meinen Kalenderrecherchen auf die Aktion. Ich bin gespannt, was ich im Laufe des Jahres noch alles entdecken werde.