Man findet ihn im Herzen von London. Postalisch gehört er zu Westminster. Jeder Tourist kennt den Platz, jeder kommt automatisch dorthin, denn der Ort ist das geografische (und gefühlte) Zentrum der Stadt. Das war nicht immer so, denn in der ursprünglichen Planung war hier nicht viel mehr als eine Verkehrsinsel vorhanden. Ähnlich wie Piccadilly Circus, um die der Verkehr kreisen konnte. Für Fußgänger war es nicht einfach in die Mitte zu gelangen, mussten sie allerdings auch nicht, denn dort war nichts los. Die National Gallery, die sich über die gesamte Nordseite erstreckt, wurde erst Mitte des 19. Jahrhunderts eröffnet und dann über viele Jahrzehnte durch Anbauten erweitert. Kurz zuvor präsentierte Sir Charles Barry seinen Entwicklungsplan, der bereits die Nelson Säule und die beiden Brunnen enthielt. Schließlich ergänzte Sir Edwin Landseer die Gestaltung mit seinen vier Bronzelöwen, was 1867 geschah. Damit war das Grundkonzept fertig und es ist bis heute gültig.

 

 

Es dauerte sehr lange, bis man erkannte, dass der Platz das Potenzial hat, Besucher in Scharen anzuziehen. Dazu musste man ihn aber fußläufig erreichbar machen. Das passierte mit dem großen Umbau im Jahr 2003. Erst dann entstand die Nordterrasse, die auf ganzer Länge vor der National Gallery angelegt wurde und ausschließlich für Fußgänger benutzbar ist. Die Treppenanlage mit dem darunter liegenden Café wurde auch erst zu dem Zeitpunkt gebaut. Schnell wurde der neue Treffpunkt von den Touristen angenommen. Sie sitzen dort gerne und schauen in alle Richtungen, denn überall ist etwas Aufregendes zu sehen. Sie genießen die Pause am Beckenrand der Bassins und ganz Neugierige werden die vielen Statuen bemerken und versuchen herauszufinden, welche Personen sie darstellen.

Die Londoner haben ähnlich reagiert und trafen sich immer dann in*) Trafalgar Square, wenn sie gemeinsam demonstrieren wollten. Noch heute sieht man regelmäßig Menschen auf dem Platz versammelt, die ihre Schilder hochhalten und für irgendetwas protestieren. Egal, ob politisch, religiös oder gesellschaftlich motiviert, fast immer gehen diese Demonstrationen gewaltfrei vonstatten. Die Polizei ist zwar vor Ort, die Videokameras übertragen live, aber selten müssen die Beamten eingreifen. Das war auch schon früher so. Trotzdem hat man für den Fall des Falles vorgesorgt und sich eine kleine Schutzburg errichtet. Damals, im letzten Jahrhundert, konnte es passieren, dass ein Bobby ganz alleine in Trafalgar Square seinen Dienst machte. Wenn dann plötzlich einige Hundert Demonstranten auftauchten, konnte es für ihn brenzlig werden. Deshalb baute man ein Häuschen an der Ecke zur Straße The Strand. In diesem kleinen runden Gebäude konnte gerade ein Mann bequem stehen. Es war und ist die kleinste Polizeistation Londons. Sie hatte zwei große Vorteile: Die dicke Eichentür konnte verschlossen werden und im Inneren gab es ein Telefon, das direkt mit der Einsatzzentrale in Charing Cross verbunden war.

*) Der Deutsche sagt gerne ‘auf dem Trafalgar Square’, aber Londoner verabreden sich ‘in Trafalgar Square’. Die korrekte Übersetzung macht es deutlich. Das Wort ‘square’ heißt nicht ‘Platz’, sondern ‘Quadrat’. – Ich schmeisse es auch gerne durcheinander, was in Ordnung ist. Man wird trotzdem verstanden.

Über Admiral Nelson muss ich nicht viel sagen. Er schwebt in luftiger Höhe über dem Platz. Seine Säule ist gut 51 Meter hoch, was neueste Vermessungen ergaben. Weniger, als stets behauptet wurde, aber immer noch ziemlich steil in den Himmel ragend. Dort oben kann man den berühmten Seehelden kaum ausmachen, obwohl seine Figur immerhin auch 5,5 Meter misst. Als ihn vor einigen Jahren ein Blitz traf, ist sein Arm fast abgefallen. Statt einer teuren Reparatur hat man ihn in eine künstlerisch gestaltete Schlinge gelegt. Geniale Idee. Am Sockel sind an jeder Seite Bronze Paneele eingelassen. Sie zeigen Szenen voller Details aus den Schlachten, an denen Nelson teilnahm. Die vier Löwen zu seinen Füßen sollen ihn beschützen. Das gelingt nicht so wirklich, denn sie sind ein Magnet für Kinder und Eltern. Die setzen den Nachwuchs gerne auf den Rücken der Tiere und machen dann Selfies. Nicht ganz ungefährlich, denn die Bronze ist glatt wie Butter und der Löwenrücken ziemlich hoch.

Die beiden Brunnen wurden 1845 installiert. Mitten in einem weiten Becken spritzen sie das Wasser steil in die Luft. Besonders eindrucksvoll wird die Szene am Abend, denn dann beginnt ein farbenprächtiges Spiel mit der reflektierenden Wasseroberfläche. Zusätzlich sind in beiden Brunnen jeweils zwei Figuren zu sehen. Sie scheinen identisch zu sein, aber das stimmt nicht. Die Delfine werden in dem einen Bassin von einer Frau und im anderen von einem Mann gehalten.

 

 

Schließlich wandert der Blick auf die Statuen. Zunächst auf die vier großen, an den Ecken des Platzes. Der vierte Sockel, direkt links vor der National Gallery, ist bis heute frei geblieben. Er wird lediglich temporär für zeitgenössische Kunst genutzt. Viele vermuten, dass eines Tages Queen Elizabeth II. das Podest auf Dauer besetzen wird. Die hat aber angeblich schon vorgesorgt und verlangt, dass dann auch ihr Mann auf dem Trafalgar Square seinen Platz haben muss. Dafür müsste man sich von einer Figur trennen und ich tippe mal auf King Georg IV, denn ihn wird man am wenigsten vermissen. Er ist den meisten Engländern nicht überdeutlich im Gedächtnis geblieben und er steht genau gegenüber, auf der rechten Seite. Das wäre dann die ideale Anordnung für die Windsors. Die meisten Personen, denen man ein Denkmal gesetzt hat, dürften uns unbekannt sein. Es sind alles Kriegshelden des Britischen Empire. Darunter 3 Admirale, 1 General und 1 Major. Bei einer Figur bleibe ich stets etwas länger stehen, nämlich bei General Sir Charles James Napier. Seine Biografie ist mir nur lückenhaft bekannt, aber ich bin mit ihm über ein paar Ecken verwandt. Und da nehme ich dann stets kurz Haltung an, grüße den Ur- Ur…Onkel in Gedanken und freue mich einen Verwandten in London getroffen zu haben.

 

 

Sollten Sie sich mit jemandem in London verabreden, dann ist es sicherlich eine gute Idee den Trafalgar Square als Treffpunkt zu wählen. Aber präzisieren Sie es um Gottes willen, denn sonst haben Sie keine Chance sich zu finden. Bei gutem Wetter, womöglich in der Urlaubszeit, ist der Platz ab mittags voller Menschen. Und das reißt bis in den späten Abend nicht mehr ab. Ich kann nicht gut schätzen, aber es sind gewiss ein paar Tausend. Da ist man dann froh, wenn man den Ort eingrenzt. Ich wähle stets das Polizeihäuschen an der Südost Ecke. Da haben wir uns noch immer auf Anhieb gefunden. Und vielleicht sollte ich auch erwähnen, dass an vielen Wochenenden der Trafalgar Square für alle möglichen Großveranstaltungen genutzt wird. Das reicht vom Formel-1-Rennen über Musical-Vorstellungen bis zu religiösen Festen, jeglicher Konfession. Dann kann es sein, dass der Platz eingezäunt wird und nur noch mit Ticket betreten werden kann. In der Vorweihnachtszeit braucht niemand Eintritt zahlen, aber dann lohnt sich der Besuch auf jeden Fall. Schon seit Kriegsende wird eine riesige Tanne aufgestellt und seit einigen Jahren hat sich ein Weihnachtdorf vor der National Gallery eingenistet. Mit Buden und Karussells, genauso wie wir sie von Zuhause kennen.