Wenn die Worte ‘Mordserie’ und ‘London’ fallen, denkt jeder automatisch an Jack the Ripper. Ein Mann, der nie gefasst wurde, dessen Identität nie geklärt wurde und doch ist er weltweit bekannt. Er mordete im Herbst 1888. Er brauchte nur zehn Wochen, für seine unfassbar brutalen Taten, die ihn unsterblich machen sollten. Aber er war keineswegs der erste extrem auffällige Mörder, der in Londons Hafenviertel Angst und Schrecken verbreitete. Schon im Dezember 1811 hatte sich eine ähnlich brutale Mordserie ereignet. Auch damals wurde in kurzer Zeit mehrmals zugeschlagen, immer in unmittelbarer Nähe der viel befahrenen Straße ‘Redcliff Highway’. Die uralte Ausfallstraße gibt es noch heute, sie wird kurz ‘The Highway’ genannt. Schauen wir es uns auf der Karte an:

 

 

Damals starben in zwei Nächten insgesamt sieben Menschen, darunter ein Säugling. Dann nahm man den Seemann John Williams fest, der sich kurz darauf, in Untersuchungshaft sitzend, das Leben nahm. Die Morde hörten zwar abrupt auf, genau wie bei Jack the Ripper, aber es gab Zweifel, ob Williams schuldig war. Aus heutiger Sicht sind die Zweifel eher noch größer geworden.

Die Taten waren kaum erklärbar. Beim ersten Mal traf es den Stoffhändler Timothy Marr. Er hatte noch spät geöffnet, was nicht ungewöhnlich war und schickte kurz vor Mitternacht die Dienstmagd mit einer Pfundnote los. Sie sollte Austern für das Nachtmahl besorgen. Auch das war keine ungewöhnliche Wahl, denn die Themse war damals übervoll mit Austern und deshalb waren sie ausgesprochen preiswert. Als das Mädchen zurückkam, fand sie die Ladentür verschlossen. Auf ihr Klingeln reagierte keiner. Sie horchte an der Tür und hörte leise Schritte auf der Treppe. Sie konnte auch ein Weinen des Säuglings hören, der in der oberen Etage bei den Eltern schlief. Das Dienstmädchen empfand die Situation als unheimlich, sie war verängstigt und wusste nicht, was sie tun soll. Sie wartete still ab und nach etwa 30 Minuten näherte sich ein Nachtwächter.

Inzwischen war auch ein Nachbar aufmerksam geworden und rief den beiden zu, dass die Hintertür von Marr offen stehen würde. Man verschaffte sich auf diesen Weg Einlass und fand nicht nur Timothy Marr tot vor, sondern auch seinen 14-jährigen Lehrling James. Im Schlafzimmer lag die erschlagene Ehefrau Celia und das drei Monate alte Kind, dem man die Kehle durchgeschnitten hatte. Binnen kurzer Zeit muss sich die grauenhafte Tat ereignet haben. Das Dienstmädchen war nur etwa eine halbe Stunde fort und auch der Nachtwächter hatte noch kurz vorher Marr lebendig durch das Fenster sehen können. Ein blutverschmierter Hammer lag auf dem Boden, wahrscheinlich die Tatwaffe, aber man hatte offensichtlich nichts gestohlen. Geld und Stoffe waren unberührt. Vielleicht war der Täter vom Klingeln des Hausmädchens überrascht worden. Wenn aber ihre Wahrnehmung stimmte, dann hatte der Mörder erst nach ihrem Klingeln das Kind und vermutlich auch die Mutter getötet. Alles muss in großer Eile passiert sein.

Zwölf Tage später, oder besser gesagt Nächte, schlug der Mörder erneut zu. Diesmal in einer Taverne, deren Wirt gerade schließen wollte. Oben schlief ein Untermieter, der von lauten Schreien geweckt wurde. Als er nachsehen wollte, was los sei, sah er einen Mann in dem dunklen Schankraum und einen anderen auf dem Boden liegend. Er bekam Panik und entkam durch sein Fenster, mithilfe seines Bettuches, dass er zum Abseilen nutzte. Als Hilfe eintraf, fand man drei Leichen. Den Wirt, seine Frau und ein Dienstmädchen. Ihr hatte man die Kehle durchgeschnitten. Geld lag verstreut auf dem Boden, aber nichts Wichtiges war entwendet worden. Offensichtlich ging es dem Täter ums Morden und nicht um Diebstahl.

Bald danach wurde John Williams verhaftet. Die Beweislage gegen ihn war dünn, aber einige Tage später fand man ihn erhängt in seiner Zelle. Man wertete das als Schuldeingeständnis. Inzwischen war auch klar, dass bei dem Stoffhändler zwei Täter anwesend waren, denn das ergaben die Fußspuren. Trotzdem wurden die Ermittlungen eingestellt.

Höchst bemerkenswert war die Art, wie der tote Williams beigesetzt wurde. Eine regelrechte Prozession wurde veranstaltet. Der tote Mann wurde auf einem Karren zum Haus der Opfer gebracht und dort eine Zeit stehengelassen. Etliche Polizisten verhinderten das Schlimmste, denn die Menge war extrem aufgebracht. Schließlich fuhr man den Toten entlang der Cannon Street bis zur Stadtmauer, wo er in eine Grube geworfen wurde. Vorher trieb man ihm aber mit kräftigen Hammerschlägen ein Holzscheit durch das Herz. Es war das Werkzeug, das als Tatwaffe gedient hatte. Ziemlich unheimlich, denn man denkt automatisch an die ewige Verbannung eines Vampirs.

Die beiden Morde führten in ganz England zu panikartiger Angst. Frauen gingen nicht mehr alleine aus dem Haus, sobald es dunkel wurde. Die Ratcliff Highway Morde, im Arbeiterviertel von London, können deshalb durchaus mit den Ripper Taten verglichen werden.

Wer mehr wissen will, sollte sich die britische Krimi-Serie ‘Whitechapel’ in der Mediathek (ARD od. ZDF?) ansehen. Dort gibt es eine Doppelfolge mit dem Titel ‘Neue Morde am Ratcliff Highway‘. Da wird das grauenhafte Geschehen neu aufgerollt und alles in Farbe, für abgehärtete Zuschauer.