Die Henrietta Street führt einen schnurstracks auf die Covent Garden Piazza. Abends, bei Dunkelheit, fällt einem schon von Weitem das halbrunde Glasfenster des London Transport Museums auf. Das helle Licht erinnert an den Vollmond, wenn er hinter den Dächern der Markthalle am Himmel aufgeht.

Auf der gegenüberliegenden Seite steht die St Paul’s Church. Sie steht mit ihrer Rückseite zum großen Platz, was zunächst falsch aussieht. Der Grund liegt in der Tradition von Kirchenbauten. Fast immer wird der Altar in der östlichen Ecke des Kirchenraumes aufgestellt und der Eingang  liegt dann folgerichtig an der Westseite. So wurde es auch bei St Paul’s gemacht und deshalb findet man keine Tür, die direkt auf den Marktplatz führt. Wer hinein will, muss durch eine der beiden schmalen Pforten gehen, die links und rechts in der Gartenmauer eingelassen sind. Es lohnt sich, denn man kommt in einen wunderbar ruhigen, grünen Garten, der zum Pausieren einlädt. Eine überraschende Oase der Stille, mitten im Trubel der Markthallen. Im Kirchengarten laden Bänke zu einer Pause ein. Weit und breit die beste Gelegenheit, um das mitgebrachte Lunch-Paket zu öffnen. Danach kann man noch ein Konzert in der Kirche genießen, was häufig mittags angeboten wird und keinen Eintritt kostet. Wenn man Glück hat, spielt sich ein Musiker vom nahen Opernhaus warm oder er übt einfach mal im Beisein der wenigen Zuhörer. Da habe ich schon die größten Überraschungen erlebt.

Covent Garden ist einer der öffentlich erlaubten Plätze für Straßenkünstler aller Art. Man wird immer jemanden sehen, der zur Unterhaltung beiträgt. Abends sind die ‘busker’ unterwegs, die ihre Lieder singen. So mancher klingt wie das Original und manchmal ist es tatsächlich einer der ganz großen Stars, der ganz inkognito ein wenig Spaß haben will. Die Kirche, auf deren Vorplatz das oft stattfindet, wird nicht umsonst ‘Actor’s Church’ genannt. Der Name ist so geläufig, dass sogar die Webseite danach benannt wurde. Der Grund sind die vielen Schauspieler, die in den Theatern rundherum gespielt haben. Oft besuchten sie vor ihren Auftritten noch kurz St Paul’s und mancher wurde dann zum regelmäßigen Besucher. Das ist schon seit über einhundert Jahren guter Brauch und man hat jedem ‘Stammgast’ nach seinem Tod eine Gedenktafel gewidmet. Die wurden im Kirchenraum an den Wänden angebracht und man staunt, wenn man die Namen liest. Mit den allermeisten kann man etwas anfangen.

 

 

Gehen wir zurück in die Henrietta Street, die abends immer gut frequentiert ist. In der Straße selbst gibt es keine herausragenden Adressen (hoffentlich liest das nicht das Ivy, eines der besten Restaurants in London. Sie laden hier zum Steak essen ein). Die meisten Menschen, in der Henrietta Street wollen aber einfach auf kürzesten Weg vom Trafalgar Square zum Covent Garden kommen. Besonders am Wochenende schieben sich dann die Touristen wahlweise in die eine oder andere Richtung. Von montags bis donnerstags ist es deutlich ruhiger. Ab neun Uhr abends sogar mausestill. Dann sind die Verkaufsstände geschlossen und die London Besucher sitzen entweder in der Oper oder im Musical-Theater.

Covent Garden (ursprünglich ‘Convent Garden’) war anfangs eine Außenstelle des Westminster Abbeys. Die Kirchenmänner hatten hier Boden erworben, den sie beackern ließen. Und zwar durch die Nonnen. Sie bauten hier Obst und Gemüse an und betrieben auch einen großen Kräutergarten. Mit allem waren sie so erfolgreich, dass schon bald mehr geerntet wurde als man selbst essen konnte. Daraus entstand ein Markt, der bis heute stetig gewachsen ist. Das heißt, so stimmt es nicht ganz, denn der professionelle Gemüsegroßmarkt zog in den 80-er Jahren nach Lambeth um, das südlich der Themse liegt. In Covent Garden wurde es zu eng, die Händler und ihre Lastwagen blockierten tagtäglich den Berufsverkehr. Einige Jahre standen die alten Markthallen leer und fast hätte man das ganze Areal in Wohnungen und Büros umgewandelt. Zum Glück kam es anders. Die alten Markthallen wurde aufwendig restauriert und sind heute ein Touristen-Magnet. Täglich findet man alles, was das Herz begehrt: Kunst, Fotografie und Kleidung. Gürtel, Schals und Taschen und sehr englische Angebote, wie handgefertigte Hunde-Jacken, natürlich mit dem Union Jack. Wer eine Pause braucht oder hungrig wird, findet etliche Restaurants rund um den Platz.

Die Henrietta Street wurde im frühen 17. Jahrhundert gebaut, als Charles I. König von England (Schottland u. Irland) war. Er hatte eine Tochter des französischen Königs geheiratet, ihr Name war Henrietta Maria. Eine Zeit lang hatten sich namhafte Verleger in der Straße angesiedelt. Man handelte mit Büchern und Kunst. Einer der Lehrlinge war der berühmte Vincent van Gogh. Noch vor einigen Jahren, vielleicht sogar noch heute, hatte die Schwester von Boris Johnson ihr Verlagsbüro an der Ecke zur Southampton Street. Ein anderes Geschwisterpaar traf sich schon vorher dort, nämlich Jane Austen und ihr Bruder Henry. Er hatte eine Wohnung in 10 Henrietta Street angemietet. Und dann tauchte die Straße immer wieder als Kulisse in Kino-Filmen auf. Besonders eindrucksvoll im Hitchcock Krimi ‘Francy’, dessen Story überwiegend im Markttrubel von Covent Garden angesiedelt wurde. Kein Wunder, denn Hitchcocks Vater war ein waschechter Londoner Markthändler. Sein Stand war in Covent Garden zu finden und sein Sohn wuchs zwischen Kartoffelsäcken und Gemüsekästen auf. Aus den Erfahrungen machte er dann den spannenden Krimi.

Wer London besucht, muss Covent Garden erlebt haben. Die Actor’s Church sollte man sich auch ansehen, besonders wenn mal wieder eines der vielen Abend-Konzerte geboten wird und das Transport Museum ist für Kinder und ihre Väter ein Spielparadies. Rund um die Henrietta Street ist so viel los, dass man wenigstens einen Nachmittag lang Zeit einplanen sollte. Und weil es mitten im West End liegt, kann man getrost in jede Richtung laufen und stößt schon nach kurzer Zeit auf etwas, was richtig Spaß macht. In der Adventszeit bietet die Actor’s Church einen großen Christmas Card Sale an. Der Erlös geht an wohltätige Vereine. Das Angebot ist riesig und die Motive oft so schön, dass man sich kaum entscheiden kann. Dazu ein unglaublich günstiger Preis. Für zehn aufwendige Karten mit Umschlägen zahlt man selten mehr als vier oder fünf Euro (das ganze Packen!). Da greift man gerne zu und verteilt die Grüße großzügig an Freunde, Bekannte und Nachbarn.