Das ist keine Straße, die man gesehen haben muss. Dort gibt es kaum Motive, die den Fotografen reizen könnten. Jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Trotzdem ist die Great Queen Street unbedingt erwähnenswert und wahrscheinlich waren auch schon viele London-Besucher einmal dort. Sie ist nämlich die kürzeste Verbindung zwischen Covent Garden Market und dem British Museum. Als ich auf dem Rückweg vom Museum zum Hotel war, nahm ich diesen Weg. Dabei fiel mir ein großes Gebäude auf, dass genau an der Ecke Great Queen-/Wild Street liegt. War es eine Kirche? Ein weiteres Museum? Ich konnte es nicht zuordnen und wurde neugierig.

Beim nächsten Besuch im British Museum nahm ich mir die Zeit, das fremde Haus näher anzusehen. Schon bald erkannte ich Details an der Fassade, die ich zuordnen konnte. Es waren Zeichen der Freimaurer. Das fand ich interessant, denn mein Großvater war Logen Mitglied in Hamburg und wäre fast ‘Meister vom Stuhl’ geworden. Deshalb hatte ich ein paar solide Kenntnisse über den Sinn und die Bräuche der jahrhundertealten Gemeinschaft. Hier, in der Freemasons’ Hall, war das Hauptquartier der United Grand Lodge of England stationiert. Kein Wunder, dass das Gebäude so groß und mächtig aussah, ein Volltreffer. Ich beschloss, ein paar Fotos zu machen, natürlich ganz diskret.

An der schweren Eingangstür, die ich mir leider nicht näher ansah, denn sie ist tatsächlich aus purer Bronze und deshalb Tonnen schwer, stand ein großes Schild: ‘OPEN’. Das fand ich merkwürdig, denn die Freimaurer werden wissen, wann sie ihre Loge aufsuchen können. Und tatsächlich war die Botschaft nicht für die Mitglieder, sondern für Besucher aufgestellt worden. Tägliche Führungen, Shop und Kaffee im Restaurant stand dort zu lesen. Ich konnte es kaum glauben, aber es kam noch besser. Etwas aufgeregt betrat ich das Haus und entdeckte bald ein freundliche, junge Mitarbeiterin. “Darf ich eintreten?” “Of course, you’re very welcome!” Mein Geld wollte man nicht, denn der Zutritt ist kostenlos. Und ich musste auch an keiner Führung teilnehmen, sondern durfte nach Herzenslust alleine durch das Haus wandern. Sogar den Fotoapparat konnte ich mitnehmen und nach Herzenslust gebrauchen. Ich sollte so viele Fotos machen, wie ich wollte. “Enjoy your visit”, rief man mir noch nach, während ich gar nicht schnell genug die Treppe hochlaufen konnte.

Ich hatte viel zu wenig Zeit mitgebracht und konnte deshalb nur einen kleinen Teil des Hauses ansehen. Neben dem zentralen, großen Saal, soll es etliche weitere geben. Die sind meistens belegt und deshalb nicht zugänglich, aber beim Hauptsaal kann man Glück haben. Ein zweiter Besuch ist fest auf meiner Wunschliste und das ist manchmal auch ganz schön, dann kann man sich schon mal darauf freuen. Es gab so viele Dinge zu sehen, dass ich etwas überfordert war. Dann traf ich auch noch eine Mutter mit ihrer fast erwachsenen Tochter, mit denen ich sofort ins Gespräch kam. Wir verstanden uns auf Anhieb, manchmal funktioniert es. Mein Museumsbesuch fand durch den Abstecher in die Loge eine überraschende Zugabe.

Beim Abschied bin ich noch schnell in den Shop gegangen. Ich wollte irgendetwas mitnehmen, als Andenken, aber auch als kleinen Dank für den freundlichen Empfang. In einem Vitrinenschrank hatte man diverse Sachen aufgestellt, die bei den Besuchern gut ankamen: von Büchern über Hosenträger bis zur kompletten Kleidung mit Frackhemd. Ich war überrascht, aber scheinbar kann sich jeder einen Schlüsselanhänger oder Ähnliches kaufen, der die Symbole der Freimaurer trägt. Ich entschied mich für einen kleinen blauen Anstecker. Er zeigt die Blüte eines Vergissmeinnichts und wurde von den deutschen Freimaurern während der Nazi-Zeit getragen. Man hatte ihre Organisation schon 1933 verboten und wer sich nicht daran hielt, konnte schnell inhaftiert werden. So traf man sich heimlich, oft in privaten Wohnungen und zeigte die Zugehörigkeit durch das Symbol der kleinen, blauen Blume an. Mein Großvater hat es erlebt, aber nie darüber gesprochen. Erst nach seinem Tod entdeckten wir das Geheimnis seiner freimaurerischen Tätigkeit. Das ging mir in London alles durch den Kopf. Eine ziemliche Überraschung, aber sehr willkommen. Ich wollte schon zur Kasse gehen, da fiel mein Blick auf eine ganze Armee von Teddybären. Ich schmunzelte, denn ohne die knuffigen Stofftiere geht es nicht. Sie werden überall angeboten, vom Buckingham Palace, über das Horseguard Museum bis zur Westminster Abbey. Hier, bei den Freimaurern, hätte ich die Bären allerdings nicht erwartet. Und als ich sie mir genauer ansah, konnte ich mir ein Lachen nicht verkneifen. Sie trugen, wie es sich gehört, den Maurerschurz. Den kann man dort übrigens auch erwerben, aber ich habe eher keine Gelegenheit, ihn zu tragen. Denn für die Hausarbeit ist er nicht gedacht.

 

 

BEKANNTE ANWOHNER
Die Great Queen Street gilt als ‘first regular street’ in London. Entsprechend alt ist die Bebauung. Erste Häuser entstanden ab 1630. Die sind inzwischen längst verfallen, aber es gibt noch Gebäude aus dem frühen 18. Jahrhundert. Aktuell wird gerade ein Turm errichtet, mit vielen Wohnungen und sicherlich gut 20 Etagen. Der steht am Ende der kleinen Wild Street und dominiert die Gegend aufgrund seiner Höhe. Ein paar prominente Namen habe ich auch noch gefunden. Alle wohnten zeitweise in der Great Queen Street. Die Jahreszahlen beziehen sich auf ihr Einzugsdatum.

  • 1647 – wird Thomas Fairfax erwähnt. Er war General im Englischen Bürgerkrieg und ein Mitstreiter von Oliver Cromwell.
  • 1702 – lebt Godfrey Kneller dort. Er stammte aus Lübeck, war Kunstmaler und wurde am englischen Hof beschäftigt.
  • 1735 – zieht Thomas Arne in die Great Queen Street. Er hat die Hymne ‘Rule Britannia’ komponiert. Das Lied ist unsterblich und wird immer wieder gerne gehört. Und auch gesungen, beispielsweise bei der ‘Last Night of the Proms’. Also unbedingt den Text lernen, wenn man dazugehören möchte.
  • 1774 – finden wir Mary Robinson unter den Mietern. Sie war eine Schauspielerin und Autorin. In ihrer Zeit berühmt und gefeiert vom Publikum. Später war sie eine der Geliebten des Prince of Wales, bevor er King George IV. wurde.
  • 1786 – taucht James Boswell auf. Auch er schreibt, besonders gerne über seine Reisen und über London. Er war ein enger Freund von Samuel Johnson, der ein Lexikon schrieb, so ziemlich alles über London wußte und gerne ‘Dr. Johnson’ genannt wurde.