‘Über sieben Brücken sollst du gehen’, sang einst die Gruppe Karat, aber in London ist die Auswahl größer. Ich zähle stets acht Brücken und lasse dabei die Canon Street Bridge außen vor, denn sie kann ausschließlich von der Eisenbahn genutzt werden. Natürlich weiß ich, dass meine Rechnung nicht stimmt, denn London beginnt nicht beim Tower und reicht weit über die Westminster Bridge hinaus. Wenigstens die Lambeth-, Vauxhall- + Chelsea Bridge sollte ich hinzuzählen, denn dort haben mich meine Fototouren längst hingeführt. Aber auch das reicht nicht. George meint, es gäbe 33 Brücken, die die Themse innerhalb des Stadtgebietes queren. Wahrscheinlich stimmt seine Zahl, denn er kennt sie vermutlich alle. Vierzig Jahre intensives Autofahren hat ihn zum ‘human navi’ gemacht.

 

 

Meine kleine Auswahl an Brücken liegen alle im Zentrum Londons und ich kann sie bestens empfehlen. Besonders abends werden sie zum farbigen Lichtspektakel. Das sieht sensationell gut aus und ist auf jeden Fall einen Besuch wert. Das Schöne an den vielen Brücken ist, dass man ganz nach Lust und Laune die Uferseite wechseln kann. Alle paar hundert Meter findet man die nächste Möglichkeit zur Überquerung.

Die älteste von allen ist die London Bridge. Schon die Römer hatten etwa an der heutigen Stelle einen Damm errichtet, um den Fluss trockenen Fußes zu durchqueren. Die Brücke dürfte im Jahre 50 nach Christus (!) erstmals erbaut worden sein. Inzwischen wurde sie mehrmals abgerissen und neu errichtet. Das geschah mit fast allen Brücken, denn sie wurden baufällig oder spätestens im 2. Weltkrieg zum Ziel der deutschen Luftwaffe. Die Waterloo Bridge erhielt einen Volltreffer und wurde noch während der Kriegsjahre von den Londoner Frauen wieder aufgebaut. Erst sehr viel später hat man sich daran erinnert und die Arbeit gewürdigt.

Die Geschichte der Brücken in Londons Innenstadt ist spannend. Jede hat ihr Geheimnis, aber eine sticht heraus. Irgendwie ist sie ein wenig unheimlich, was schon der Name andeutet: Blackfriars Bridge. Die ‘Schwarzen Brüder’ waren Dominikanermönche, die Landbesitz in London hatten. Das Gebiet zwischen Fleet Street und Themse gehörte ihnen. Sie verkauften es an die Juristen, die noch heute ihre Kanzleien (Temple Inn) dort haben. Die erste Blackfriars Bridge entstand im 18. Jahrhundert, später wurde sie verbreitert, um das erhöhte Verkehrsaufkommen zu bewältigen.

Merkwürdigerweise gehört die Brücke zum Hoheitsgebiet der City of London und zwar auf ganzer Länge, also bis zum Südufer. Die City unterliegt einer eigenen Gesetzgebung und als der Bank-Direktor, Roberto Calvi, eines Morgens erhängt unter der Brücke gefunden wurde, ermittelte die City of London Police. Die Umstände seines Todes wurden nie geklärt, aber an der Selbstmordversion darf man zweifeln. Der Mann war unter dem Namen ‘Bankier Gottes’ bekannt. Er leitete die Vatikan-Bank und war in höchst mysteriöse Geschäfte verwickelt. Am frühen Morgen, kurz nach der Dämmerung, wurde sein toter Körper entdeckt. Er baumelte an einem Seil unter der Brücke, nahe am nördlichen Ufer. Damals stand dort ein Baugerüst, aber nur ein gut trainierter Mann hätte es geschafft, die Stelle zu erreichen. Das traf auf Calvi nicht zu. Man vermutet deshalb, dass er nachts per Boot an die Stelle gebracht und dann in Mafia-Manier aufgeknüpft wurde. In seinen Taschen fand man Steine.

 

 

Zurück in die Vergangenheit. Als die Dominikaner dort noch lebten, kannten sie ihre Brücke unter einem anderen Namen. Damals hieß sie St Paul’s Bridge und die Umbenennung geschah erst 1937. Blackfriars wurde dann zum zentralen Bahnhof für Reisende zum Kontinent. Heute steigt man in den Eurostar am King’s Cross bzw. St Pancras Station, damals aber hielten die Züge in Blackfriars. Noch heute gibt es im Bahnhof eine Mauer, auf deren Steine die Namen der Zielbahnhöfe geschrieben sind. Dort liest man Ortsnamen wie: St. Petersburg, Marseille und Berlin. Der aktuelle Bahnhof wurde auf einer parallelen Brücke zur Blackfriars Bridge errichtet. Die Züge halten direkt über der Themes. Das Dach ist optisch auffällig und technisch sehr modern. Es besteht aus Solarpaneelen. Der Bahnhof gilt noch heute als vorbildlich, denn die Fotovoltaik Anlage produziert 900.000 kWh und weil niemand weiß wie viel das sein könnte, hat man es in eine bekanntere Einheit umgerechnet. Man kann damit täglich 80.000 Becher Tee machen (das nötige Wasser erhitzen). Damit kann der Engländer etwas anfangen, die Zahl beeindruckt.

Falls man Gelegenheit hat, die Brücke von einem Boot aus zu sehen, dann kann man bei Ebbe ein kreisrundes Loch in der Kaimauer entdecken. Es ist der Abfluss des alten Londoner Flusses ‘Fleet’. Den gibt es noch immer, aber er wurde längst in unterirdische Röhren verbannt. Er machte Platz für Straßen und Häuser, nur die Fleet Street erinnert noch an seinen Lauf.

Vom Wasser aus gesehen, fällt sofort auf, dass zwischen der alten Blackfriars- und der neuen Railway Bridge, sie stehen Seite an Seite, rote Betonpfeiler aus dem Wasser ragen. Darauf war einst die alte Eisenbahnbrücke montiert. Sie wurde 1985 ersetzt, weil ihre Statik für die hohe Frequenz des modernen Zugverkehrs zu schwach war. Wie so oft fällte man eine pragmatische Entscheidung. Statt für viel Geld den Abriss zu erledigen, ließ man die Pfeiler einfach stehen. Während der Bauzeit nutze man sie als Plattformen für Baugeräte und einige wurden sogar in das Fundament der neuen Brücke integriert. Heute sind sie zwecklos, aber dekorativ angemalt. Deshalb dienen sie noch immer als Fotomotiv.