Zentraler geht es kaum, aber selbst Londoner können mit dem Namen oft nichts anfangen. Ich musste schon im Klassiker ‘London Maps A-Z’ nachsehen, um fündig zu werden. Verlässt man sich beim Autofahren auf das Navi-Gerät, landet man sehr wahrscheinlich in Kensington, denn dort gibt es die gleichnamige ‘Abingdon Road’, was einem nicht hilft, wenn man sich verfahren hat.

Die Abingdon Street führt direkt am Westminster Palace vorbei. Einmal an der ganzen prachtvollen Straßenfront entlang. Jeder, der das Haus besuchen will, wird von hier aus ins Innere geschleust. Und doch ist der Name fast unbekannt. Vermutlich liegt der Grund darin, dass die Abingdon Street keine eigenständige Straße, sondern nur ein kurzes Verbindungsstück zwischen der St Margaret Street und Millbank. Vermutlich wird sie deshalb in den Straßenkarten so oft übersehen. In Wahrheit ist die Abingdon Street deutlich älter als alle anderen Verkehrswege rundherum. Schon auf Karten um 1600 wurde sie vermerkt, denn damals war sie die Verbindung zwischen dem südlichen Tor des Palace of Westminster und dem Grenzgraben zu Thorney Island. Ganz Westminster war damals eine feuchte Gegend, eher Sumpf als Geest.

Für mich gab es zwei Gründe, mir die Straße zu merken. Einer davon ist inzwischen Vergangenheit, nämlich der Brexit. In den Jahren 2017 und 2018 fanden fast täglich Proteste vor dem Parlamentsgebäude statt. Und sowohl Austrittsbefürworter als auch Gegner hatte sich in der Abingdon Street einquartiert. Die Demonstrationen verliefen immer friedlich und ich ging gerne dorthin, um ein bisschen Hintergrundinformation zu erhalten. Auf dem Rasenplatz, gleich gegenüber vom Victoria Tower, war das Fernsehen präsent. Man hatte Zelte aufgestellt und sendete tagtäglich live. Inzwischen ist dort wieder Ruhe eingekehrt, aber sobald die ‘Breaking News’ das britische Parlament betreffen, geht der TV Zirkus wieder los. So manch bekannter Politiker läuft einem dann über den Weg, denn sie wollen natürlich alle interviewt werden und das passiert auf dem kleinen Rasenstück. Genau da drunter ist eine große Tiefgarage. Dort parken die Limousinen der königlichen Regierung, wenn das Parlament debattiert.

Der zweite Grund, warum ich mir die Adresse gemerkt habe, hat zum Glück noch immer Bestand. Ich weiß gar nicht, ob ich ihn hier öffentlich Preis geben soll, denn es ist mein Geheimtipp für eine gute Tasse Kaffee. Man bekommt sie im Shop des alten Jewel Towers, der besichtigt werden kann. Aber viel interessanter sind die Tische und Bänke vor dem kleinen Café, an denen man ganz ungestört eine Pause machen kann. Nirgends sitzt man zentraler und trotzdem ist kaum jemand dort. Der Shop liegt einfach zu versteckt.

Und wer ist nun der Namensgeber von der kurzen Straße vor dem Parlament? Sicherlich ein Aristokrat, das lässt sich leicht erraten. Fündig werden wir beim 2nd Earl of Abingdon. Er war Mitglied im Parlament und kaufte sich das Lindsay House, das in unmittelbarer Nähe lag. Es wurde erst im 2. Weltkrieg durch einen Bombenangriff zerstört. Früher stand eine lange Reihe Georgian Houses in der Abingdon Street. In diesen typisch englischen Reihenhäusern wohnten vor allem Parlamentarier. Trotzdem galt die Straße als ‘schäbig’, was darauf schließen lässt, dass die Politiker damals finanziell kurz gehalten wurden. Heute verbringen sie ihre Wochenenden in komfortablen Country Houses und leben wochentags in der Londoner Stadtwohnung, die oft überraschend klein sind.

 

 

FÜR MEINEN NÄCHSTEN BESUCH:

  • Im Sommer muss ich unbedingt mal den College Garden besuchen. Es liegt wohl etwas versteckt, scheint aber ein richtiger Park zu sein. Er liegt an der Ecke Great College St / Abingdon St. Dort ist auch die Einfahrt zur Tiefgarage. Quert man den Garden, dann kommt man zum alten Kloster der Westminster Abbey. Dort war ich schon mehrmals und kann mich deshalb vage an den Park erinnern.
  • Natürlich werde ich eine Pause am Jewel Tower einlegen und dort eine Tasse Kaffee trinken. Vielleicht finde ich im Shop noch ein interessantes Buch über Westminster?
  • Ich sollte herausfinden, ob man im Black Rod’s Garden vorbeischauen kann. Vermutlich nicht, denn er liegt im Westminster Palace und ist höchst wahrscheinlich nicht öffentlich zugänglich.