7. Februar 1845

Das Britische Museum ist eine wahre Schatzkammer. Man präsentiert Kulturgüter aus allen Ecken und Epochen der Welt. Viele Gegenstände wurden während der Kolonialzeit einfach mitgenommen, was heute kritisch gesehen wird. Man bemüht sich zunehmend um Wiedergutmachung, soweit es möglich ist. Ich bin zwiespältiger Meinung darüber, genieße aber den Besuch im BM jedes Mal und freue mich, die einmaligen Stücke dort sehen zu können. Eine Weltreise an die jeweiligen Herkunftsländer wäre mir aus vielen Gründen nicht möglich.

Manche der Ausstellungsstücke haben unschätzbaren Wert. Dazu zählt ganz sicher der Marmorfries des Athener Parthenon (Elgin Marbles) oder die Standarte von Ur, eine ca. 5.000 Jahre alte Grabstelle, die im heutigen Irak möglicherweise längst zerstört wäre und natürlich auch die Steinfigur von der Osterinsel, die wegen eine Gravur auf dem Rücken von besonderer Bedeutung ist. Aber die Geschichte erzähle ich ein anderes Mal. Heute geht es um eine Glasvase, die als Portland Vase weltweit bekannt ist.

Die Vase ist ca. 25 cm hoch und aus dunkelblauen Glas gefertigt. Weiße Figuren wurden in kunstvoller Technik in eine weiße Keramikschicht eingeschnitten, die man auf dem Glas fixiert hatte. Ein wunderschönes Stück, das wohl zur Zeit von Christi Geburt entstanden ist. Es ist ganz erstaunlich, dass die Vase zwei Jahrtausende unbeschadet überstanden hat, bis sie im Jahr 1810 Teil der Sammlung des Britischen Museums wurde. Damals noch eine Leihgabe eines vermögenden englischen Aristokraten.

Schon wegen ihrer Zerbrechlichkeit wurde die Vase stets unter einer Glasabdeckung gezeigt. Jede Beschädigung wäre eine Katastrophe. Man behandelte das filigrane Stück wie die sprichwörtlichen Augäpfel.

Bildquelle: Wikipedia, Fotograf unbekannt.

 

Am 7. Februar 1845 kam ein Besucher in das Museum, der einen leicht auffälligen Gang hatte. Der Grund war sein Zustand nach einer weitgehend durchzechten Woche. Der Name des Mannes lautete William Lloyd, aber das war nur ein Pseudonym unter vielen, die er aus guten Grund benutzte. Er war gebürtiger Ire und hatte seine Heimat vor gut einer Woche Hals über Kopf verlassen. Er hatte Ärger mit seiner Frau, war in Zahlungsschwierigkeiten und hatte möglicherweise eine andere Frau geschwängert. Kurzum, man war hinter ihm her und er hatte das Weite gesucht. In London angekommen, hat er dann sein letztes Geld in den Pubs ausgegeben, war mehr oder weniger ständig angetrunken und inzwischen ziemlich am Ende. 

Im Museum wollte er sich eigentlich nur aufwärmen, da passierte das Unglück. Gerade als er an der kostbaren Vase vorbeikam, verlor er das Gleichgewicht. Er versuchte sich an einer Figur festzuhalten, löste dabei einen Basaltstein, der ihm gleich wieder aus der Hand rutschte und mitten auf die Vitrine knallte. Das Glas ging entzwei und der Inhalt, die Portland Vase, zu Bruch. Unzählige Scherben lagen auf dem Boden, kleine und kleinste Teile waren von dem Prachtstück übrig geblieben.

William Lloyd landete im Gefängnis, wo er auf seinen Prozess wartete. Es kam dann aber anders, denn der Eigentümer der Vase erkannte schnell, dass bei dem Mann nicht zu holen war. Er verzichtete deshalb auf eine Anzeige und William verschwand genauso schnell aus London, wie er einige Tage zuvor aufgetaucht war. 

Die Fachleute des Museums bemühten sich um Schadensbegrenzung. Erst einmal fegte man höchst sorgfältig die Scherben zusammen und trennte dann den Haufen in Glasreste der Vitrine und wertvolle Bruchstücken der Vase. Dann mussten die Restauratoren zeigen, was möglich war. Der Chef unter ihnen nahm sich der Sisyphusarbeit an. Nach mühevollen Wochen gelang es ihm tatsächlich, die Vase wieder zusammenzusetzen. Es fehlte nichts, im Gegenteil. Er hatte dummerweise ein paar Dutzend Teilchen übrig, die er partout nicht mehr einfügen konnte. Eine Erfahrung, die wir alle schon gemacht haben, wenn wir mal etwas gründlich repariert haben. 

Einige Jahre später machte sich ein neues Restauratoren-Team noch einmal ans Werk. Die übrig gebliebenen Stücke hatte man glücklicherweise aufbewahrt. Ihnen gelang es auch diese Teile einzufügen und so kann man davon ausgehen, dass die Vase heute wieder komplett ist. Von den Rissen oder dem Kleber ist nichts zu sehen, aber da ist man wohl mit sehr ruhiger Hand und noch mehr Erfahrung ans Werk gegangen.

Was für ein Alptraum und doch irgendwie sehr britisch. Da trinkt einer ein paar Gläser zu viel, dann ist er ungeschickt, versucht sich zu retten und löst gerade dadurch die tödliche Lawine aus. Typisch daran ist, dass die Ursache minimal ist und der Schaden die Grenze des Vorstellbaren sprengt. Der Verursacher, egal ob Engländer oder Ire, entschuldigt sich dutzende Male, mit hochroten Ohren und bekennt wieder und wieder, dass er das alles nicht gewollt hatte. Und wenn er dann stammelt, dass er das bestimmt nie wieder machen wird, dann kann man ihm eigentlich gar nicht mehr böse sein.

Und wenn Sie demnächst einen Besuch im British Museum machen, dann können Sie diese Geschichte erzählen und man wird staunen, woher Sie das wissen.