16. Januar 1926

Der Erste Weltkrieg ist vorbei, die europäischen Monarchien haben abgedankt. Alle? Nein, nicht alle. Die Windsors sind noch immer im Amt und durchaus beliebt. Wer genau hinsieht, bemerkt eine leichte Anspannung, trotz des Trubels, den die ‘Roaring Twenties’ ausgelöst hatten. Die ‘upper class’ tanzt abends im Savoy und lauscht tagsüber den Nachrichten aus Deutschland. Noch hat niemand gewaltsam nach der Macht gegriffen, noch brummt die Börse, aber der Sturm kündigt sich bereits an. Harte Jahre stehen bevor. So mancher hat düstere Vorahnungen.

An diesem Abend überträgt die BBC eine Sendung im Radio. Eine eher langweilige Sache, es wird viel diskutiert, Ausschnitte einer Rede werden eingespielt, keiner hört wirklich zu. Dann wird die Sendung plötzlich unterbrochen. Man muss ein ‘special announcement’ verkünden. Es ist von höchster Dringlichkeit. Die Londoner spitzen die Ohren, legen ihre Zeitung zur Seite und lassen die Handarbeit auf den Schoß sinken. Dann hören sie, dass in London schwere Tumulte ausgebrochen sind. Arbeitslose Arbeiter würden wütend durch die City laufen und alles kaputt schlagen, was im Weg steht. Die Lage wäre sehr ernst, womöglich schon außer Kontrolle. 

Es knackt und pfeift im Lautsprecher, dann hört man Rufe, auch Sirenen und schließlich einen Reporter, der aufgeregt aus Westminster berichtet. Die National Gallery wurde von der Menge besetzt, im Savoy Hotel hat sich eine Explosion ereignet und jetzt stürmen sie das House of Parliaments. Erneut wilde Geräusche, Sirenengeheul, laute Schreie … und dann ein Knall. Der Reporter meldet fassungslos, dass der Clock Tower gesprengt wurde. Zusammen mit der berühmten Glocke Big Ben ist der Turm in sich zusammengefallen. Stille, Entsetzen macht sich breit.

Einen Augenblick später übernimmt ein Kollege im Studio die Berichterstattung. Er hätte Meldungen bekommen, dass Mr. Wurtherspoon, der Verkehrsminister, bei einem Fluchtversuch nach Frankreich gefasst wurde. Er würde jetzt an einem Laternenpfahl in Vauxhall baumeln.

Spätestens in dem Moment war die Sache völlig aus dem Ruder gelaufen. Tatsächlich handelte es sich nämlich, um den frühen Versuch experimentelles Radio zu senden. Genauer gesagt, um einen Comedy-Sketch mit dem Titel ‘Broadcasting the Barricades’. Autor war auch noch ein Pastor, der in seiner Freizeit gerne witzige Kurzgeschichten schrieb. Diese war irgendwie über das Ziel hinausgeschossen und da half es dann auch nichts mehr, wenn man darauf hinwies, dass es gar keinen Minister mit dem Namen ‘Wurtherspoon’ gäbe. Das Chaos war perfekt, London befand sich im Ausnahmezustand.

Die Sendung wurde vorzeitig abgebrochen, die Revolution offiziell als beendet erklärt. Nach etwas beruhigender Musik meldet sich der Sendeleiter der BBC zu Wort:

“Some listeners, who heard only part of Rev. Father Knox’s talk at 7:40 this evening, did not realize the humorous innuendoes underlying his imaginary news items, and have unease as to the fate of London, Big Ben and other places and objects mentioned in the talk. … The whole talk was, of course, a burlesque, and we hope that any listeners who did not realize it will accept our sincere apologies for any uneasiness caused. London is safe. Big Ben is still chiming, and all is well.”

Vielleicht hatte der Kirchenmann und Autor den Witz seiner Geschichte zu gut oder zu schlau versteckt. Es waren nämlich nur wenige Zuhörer über den Namen des Streik-Anführers gestolpert. Er hieß ‘Mr. Popplebury’ und war in Nebentätigkeit als ‘Secretary of the National Movement for Abolishing Theater Queues’ zuständig. Spätestens an dieser Stelle wäre bei uns der Groschen gefallen, aber wir sind auch im Vorteil, denn wir kennen die Sketche von Monty Python und dem ‘Ministry of Silly Walks’.