16. Februar 1824

Im Februar 1824 wird in London ein Herrenclub gegründet. Das ist nichts Besonderes und passiert gerade im Stadtteil St James’s zu dieser Zeit ziemlich oft. Schon bald wird die Gegend ‘club land’ genannt, was sich bis heute erhalten hat. Als Tourist, falls man überhaupt durch diese Straßen geht, wird man wahrscheinlich keinen einzigen Club finden. Sie haben keine Reklameschilder über der Tür, noch nicht mal einen Hinweis am Klingelschild. Fast immer sind die Clubräume in den oberen Geschossen angesiedelt. Niemand will im Erdgeschoss sitzen, wo dann womöglich irgendjemand durch das Fenster hineinschauen kann. Man(n) ist diskret und gerne unter sich. Als die Clubs gegründet wurden, waren sie ausschließlich für Männer bestimmt. Heute müssen sie auch Frauen Zutritt bzw. Mitgliedschaft gewähren und noch immer betrachten das einige männliche Mitglieder als letzten Beweis für den baldigen Untergang des grandiosen Königreichs.

Um beizutreten, reicht ein Antragsformular nicht aus. Man benötigt die Empfehlung von einem oder besser zwei alt etablierten Mitgliedern, viel Ausdauer für die jahrelange Wartezeit und ein üppig bestücktes Bankkonto. Die richtige Kleidung wird vorausgesetzt, aber darüber verfügt die ‘upper class’, zu der man ebenfalls unbedingt gehören sollte.

Der Club, der am 16. Februar 1824 gegründet wurde, gehört zu den ganz Großen. Sein Name bringt schon eine Vorahnung: Athenaeum. Zu finden an der Pall Mall, wo sonst? Das Logo oder besser gesagt Emblem zeigt den Kopf der Weisheitsgöttin Athene und die Zielgruppe sind die Künstler, Literaten und Wissenschaftler. Jedenfalls war es damals so geplant. Und weil Klugheit, Kreativität und Wissen nicht zwangsläufig in der Aristokratie zu finden sind, hatte man im Athenaeum relativ liberale Mitgliedsbedingungen. 

Trotzdem war der Club stets ein Ort für die Erfolgreichen und nach ziemlich genau zweihundert Jahren kann man stolz verkünden, dass man über fünfzig Nobelpreisträger hervorgebracht hat. Tatsächlich in jeder Disziplin mindestens einen. Erwähnenswert ist auch die Bibliothek, die inzwischen mehr als 80.000 Bände umfasst. Oft Geschenke aus dem Nachlass der berühmten Männer.

Den Frauen hat man sich schon relativ früh geöffnet. Sie durften als Gäste kommen, mussten aber bitte unter sich bleiben. Der Club hatte extra tief in die Tasche gegriffen und einen Damenflügel angebaut. Vermutlich ohne Durchgang zum Rest des Hauses. Als Mitglieder waren sie unerwünscht, aber im 21. Jahrhundert wurde der Druck zu groß. Seit 2002 dürfen Frauen beitreten. Vielleicht aber auch nur deshalb, weil sonst nicht mehr genügend Preisträger zu finden waren. 

Jeder Club verweist stolz auf die ganz großen Namen, die bei ihnen verkehrten. Im Athenaeum ist das nicht anders, man denke alleine an die fünfzig Nobelpreisträger, deshalb hier nur ein paar prominente Namen: Sir Winston Churchill, Rudyard Kipling, und Charles Darwin. 

 

 

Hier noch ein Tipp für London-Reisende: Wenn man den Pflichtbesuch im Buckingham Palace absolviert hat, kann man auf dem Rückweg zum Trafalgar Square, gut einen Abstecher zum Athenaeum einlegen. Es ist ein hübsches, helles Gebäude mit auffallenden blauen Fries. Es liegt nur wenige Schritte von der Mall entfernt. Vor dem Club-Portal findet man ein Kuriosum. Es ist ein Stein bzw. ein Stück eines alten Kantsteins, der wie eine kleine Treppe am Straßenrand liegt. Genau das war tatsächlich seine Funktion. Er diente einem der ehrwürdigen älteren Herren, einem Generalmajor, als diskrete Hilfe, um das Pferd zu besteigen. Der alte Mann war nicht mehr sehr gelenkig, aber ein ehemaliger Kriegsheld lässt sich nicht in einer Kutsche abholen. Er hatte natürlich sein eigenes Pferd (heute: Land Rover) und nichts wäre peinlicher, als ein verrutschter Aufstieg in den Sattel. Mit dem ‘Kantstein’ hatte er die richtige Höhe, um den Fuß mühelos in den Steigbügel gleiten zu lassen. Der Rest war eingeübte Routine und das Pferd geduldig und gutmütig.

Inzwischen lassen sich die Herren längst mit der Taxe oder vom Chauffeur abholen. Am späteren Abend habe ich schon lustige Szenen gesehen. Da kommt so mancher im schwankenden Gang herausgestolpert oder hat den falschen Hut erwischt, der ihm jetzt tief über die Augen gerutscht ist. Natürlich bin ich diskret und fotografiere das dann nicht. Außerdem habe ich Angst vor dem Fahrer, der oft so aussieht, als wäre er seinem Herrn treu ergeben. Ein stummes Lächeln muss mir reichen.